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Allerheiligen 1.11.2020

Ev.:  Mt. 5, 1-12a

Natürlich heilig

Unter Papst Johannes Paul II. Sind mehr Menschen selig – und heiliggesprochen worden als im Zeitraum aller seiner Vorgänger. Und man darf sich fragen, ob plötzlich die Menschen heiliger geworden sind. Das Wort Inflation verwenden wir nicht nur in Bezug auf das Finanzwesen. Auch bei dieser Zahl der Selig- und Heiligsprechungen kann man auch von Inflation reden. Es ist vergleichsweise ein übermäßiger Anstieg. Hat das etwas Merkbares z.B. in der Kirche oder in der Gesellschaft ausgelöst? Sind wir alle heiliger geworden und die neuen Seligen und Heiligen sind die Spitze davon? Was ist uns heilig? Wer ist da heilig?

In unserem Sprachgebrauch kommt es schon vor, dass wir etwas als Besonderes herausstellen und sagen dabei: das ist mir heilig. Das kann zum Beispiel ein Gegenstand sein, mit dem wir etwas Einmaliges verbinden. Oder es kann ein Zeitraum sein, den wir für etwas ganz Spezielles reserviert haben. Z.B. ein bestimmter Abend in der Woche oder ein Zeitraum für die Erholung. Das als heilig Bezeichnete ist uns wichtig, und wir unterstreichen das mit unserer Wortwahl. Das uns Heilige wollen wir nicht antasten und auch nicht ändern.

Was ist heilig im Allgemeinen? In den Religionen ist das heilig, was einer Gottheit  zugeschrieben wird. So werden Orte, Häuser, Gegenstände und Schriften als heilig bezeichnet. Sie verbinden verstärkt mit dem Göttlichen und eventuell mit heiligmäßigen Menschen. Was aber nicht göttlich ist, das ist die andere Seite, das ist profan. Im Judentum wird eine solche Trennung hinterfragt. Gott lässt sich nicht an einem Ort festhalten, Gott will dort sein, wo die Menschen sind.

Im frühen Christentum wandelt sich diese Sicht nochmals und radikal. Dort, wo Menschen in heilmachender Weise handeln und leben, dort ist auch die heilmachende Nähe Gottes zu erfahren. Die frühe Christen bezeichnen einander als Heilige, und das kommt aus ihrem heilbringenden Handeln. Das sind meist keine kanonischen Heiligen. Sie sind nicht im Verzeichnis der Kirche eingetragen.

Wir feiern Allerheiligen. Wer ist da heilig? Wir gedenken all derer, von denen etwas Besonderes aus ihrem Leben überliefert ist, das die Bezeichnung heilig rechtfertigt.

Es sind Menschen, die uns ein Ansporn in der Lebensgestaltung sind und eine Ermutigung  in unserem Bemühen um den Glauben. Heilige sind Teil der christlichen Großfamilie. Aber wir sind gefährdet sie in eine Parallelgesellschaft abzuschieben und auszusondern. Vielleicht tun wir gelegentlich gut daran, sie als Menschen zu sehen, die nicht so viel anders waren als wir es sind.

Und da ergibt sich schon die Frage, wie stelle ich mir Heilige vor. Und zwar jetzt und abseits der großen Namen, die wir alle kennen und die uns immer beispielhaft genannt werden. Wie stelle ich mir Heilige vor, die nicht komisch und frömmlerisch wirken, die nicht entrückt sind in eine parallele Gesellschaft?

 

Können wir noch heilig werden?

Von Karl Rahner wird berichtet, dass er seinem eigenen Weihekurs einen Vortrag hielt mit dem Titel: Können wir noch heilig werden? Das war wohl in seinen jungen Jahren des persönlichen Aufbruchs und am Beginn des Priesterlebens. 15 Jahre später, dazwischen war die Gewaltherrschaft des Krieges, hielt er nochmals diesen Vortrag und machte dabei die anfängliche Notiz: Wir sind nicht heilig geworden. Und die Begründung von Karl Rahner lautet: Wir haben Gott nicht mit ganzem Herzen und aus allen Kräften geliebt. Das sagt er nach etlichen Priesterjahren, so ca. in der Mitte seines Lebens.

Können wir also noch heilig werden, und wie stelle ich mir heute einen heiligmäßigen Menschen vor? Ich habe da drei Anregungen.

Anspruch in der Liebe

Ich möchte vom heutigen Evangelium ausgehen. Es sind die Seligpreisungen, die Präambel zur Bergpredigt. Und diese erste große Rede im Matthäusevangelium bringt eine geballte Herausforderung. Viele habe versucht sie heraus zu stehlen, indem sie sagten, das kann nur für bestimmte Gruppierungen gelten. Aber die Bergpredigt ist die Herausforderung für uns alle.

Wenn es also um Großes geht, und heilig sein darf als etwas Großes bezeichnet werden, dann braucht es etwas Anspruchsvolles. Das ist die Bergpredigt. Für das Heiligsein dürfen wir nicht mit Rabatten rechnen. Heilige sind zu sich selbst anspruchsvoll in der Liebe, wie wir es in der Bergpredigt finden. Anspruchsvoll in der Liebe.

Bemühen mit Treue

Freilich wird man anerkennen müssen, dass die Latte hoch liegt. Aber zur Höhe der Heiligkeit gelangt man nicht aus dem Stand. Wir dürfen einkalkulieren dass uns manches leicht fällt und anderes schwer. Und wir werden bedenken, dass wir uns manchmal gedrängt fühlen und dann sind wir wiederum bequem.

Sagt nicht Jesus, als es um hohen Einsatz ging, bemüht euch mit allen Kräften? Es geht um die Standhaftigkeit, die Beharrlichkeit und die Treue zu seiner Botschaft. Bemüht euch mit Treue!

Natürlich im Handeln

Romano Guardini hat von den Heiligen seiner Tage, das ist die 1.Hälfte des 20. Jahrhunderts, gesprochen und gemeint, Asketen werden sie nicht sein. Nein, sie werden so natürlich sein, dass man es schwer haben wird, sie als Heilige zu entdecken. Sind das nicht Menschen, die so natürlich handeln, dass sie heilbringend sind? Sind das nicht Menschen die mit ihrer Art gar nicht wie Heilige wirken. Aber sie machen die Nähe Gottes durch ihre Natürlichkeit erfahrbar.

Wenn wir heute hinausgehen mit dem festen Entschluss, ich bringe auf ganz natürliche Weise Heil in meine kleine Welt, wenn wir alle das tun, ist es vielleicht auch ein Inflation. Alles ist heil und heilig. Ganz natürlich. Und die Heiligen, uns selbst, wird man gar nicht als solche erkennen. Aber die Nähe Gottes, die durch unser heilbringendes Handeln deutlich wird, die wird offenkundig.